Die heutige Strecke
Der Bundesstaat Kerala in Südindien ist berühmt für seine Backwaters. Dabei handelt es sich um eine weit verzweigte Wasserlandschaft im Hinterland. Diese Region, die auch Kuttanad heisst, erstreckt sich parallel zur Malabarküste über rund 80 Kilometer von Kochi bis nach Kollam.
Der Fahrer erscheint pünktlich zum Treffpunkt. Er fährt uns nach Alleppey zu unserem Hausboot. Zuerst müssen wir im Haus des Eigners warten. Aber nach einer weilen kommen 2 Herren und holen unsere Koffer. Wie sich später herausstellt handelt es sich um den Koch und den Bootskäpten.
Die Fahrt kann losgehen. Das leise Brummen des Motors dringt von unten herauf. Monoton, gleichbleibend rhythmisch. Es ist ein sanfter Ton, weit weg und gnädig zum Gehör. Ohne ihn wäre die Stille perfekt. Die Sonne brennt heiss. Leichte Wellen klatschen gegen den Rumpf des Hausbootes, lassen uns auch zwei Etagen höher auf dem Terrassendeck ein wenig schaukeln.
Gemächlich schiebt sich das Schiff durchs Wasser des Vembanad Sees. Mit einer Fläche von 2.000 km² ist er Teil eines Wasserwegesystems, das sich hier in Kerala, im Südwesten Indiens, in alle Himmelsrichtungen erstreckt. Wir befinden uns mitten in den Backwaters. Ein faszinierendes Ökosystem – ökologisch wie ökonomisch.
Unterwegs gibt es sehr vieles zu sehen. Palmenbestandene Ufer, Reisfelder, Bananenstauden und die leichte Brise über dem Wasser machen die Backwaters zu einem der entspanntesten Orte in ganz Indien. Entlang der blauen Adern, die das fruchtbar grüne Land durchfliessen, entfliehen wir der indischen Hektik, dem Motorenlärm, dem andauernden Hupen, dem Geschrei der Menschen; kurz: dem ganzen Lärm des Landes.
Lethargisches Nichtstun, nichts zu tun haben. Nicht jetzt, nicht später. Das ist es, was die Backwaters so besonders macht. Der Geist geht verloren in einer grünen Welt. Der Schleier eines hitzegeschwängerten Nachmittags liegt über dem Wasser. Sonst ist nichts da ausser Palmen und leichten Wellen, die an der Bordwand auf und ab schaukeln. Ein paar Reisfelder im Hintergrund, hier und da am Ufer steht ein Haus, eine Hütte, ein Unterstand, ein Kiosk – das ist alles. Ausser vielleicht die vielen Hausboote welche wir beim Start gesehen haben.
Vom Terrassendeck unseres Hausbootes beobachten wir das Leben in den Backwaters. Fischer ziehen ihre Netze ein, Frauen waschen Geschirr und Wäsche, nicht wenige stehen mit schlichten Ruten am Wasser und hoffen auf einen möglichst grossen Fang. Jungen holpern mit ihren Fahrrädern über die schmalen Pfade zwischen Wasser und Reisfeldern oder Baden im Wasser.
Wir sind so langsam unterwegs, dass wir in aller Ruhe mehrere Bücher lesen könnten und doch nichts von dem verpassen würden, was um uns herum passiert. Doch selbst lesen ist zu viel, wenn man auch nichts tun kann. Aber dennoch schaffen wir es uns mit dem Lesen die Zeit zu vertreiben.
Ein paar Kraniche schwingen sich geräuschlos durch die Luft, ziehen meinen Blick mit sich hinaus in die Weite der Wasserläufe. Kormorane trocknen ihr Gefieder im Geäst der nahen Bäume. Langsam färbt sich der Himmel rosa.
Am Abend ankern wir irgendwo in den Backwaters. Zikaden reiben ganz in der Nähe ihre Flügel aneinander. Im Hausboot löschen wir die Lichter aus – nicht, weil es sein muss, sondern weil es im Dunkeln immer noch ein bisschen langsamer zugeht. Dann leuchten nur noch die Sterne und der silbrige Mond über den Palmen am Ufer.